Einführung in die Sanskrit-Sprache – Teil 1

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Das Wort ‚Saṁskṛtam‘ in Devanāgarī-Schrift.

Oṁ (aum) oder praṇava ist der transzendente Urklang oder die göttliche Schwingung, aus dem das ganze Universum hervorgegangen ist und aus dem dieses besteht. Davon berichten viele heilige Schriften wie vor allem folgende Upaniṣaden: Kaṭha-, Praśna-, Muṇḑaka- und Māṇḑūkya-Upaniṣad. Die letztere widmet sich in ihren 12 ślokas nur der göttlichen Schwingung Oṁ und beschreibt dessen vier Zustände.

Aber auch das Johannes Evangelium beginnt mit: „Am Anfang war das Wort“ oder wie es manchmal in den englischen Übersetzungen der Bibel heisst „In the beginning was the sound“. Das Wort oder sound meint das gleiche wie Oṁ.

Bibel, Johannes Evangelium 1 – 5 sowie 14:

1   Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.
2   Dieses war im Anfang bei Gott.
3   Alle Dinge sind durch dasselbe geworden, und ohne das Wort ist auch nicht eines geworden, das geworden ist.
4   In ihm war Leben und das Leben war das Licht für die Menschen.
5   Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht angenommen.
14  Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns …. .

Offenbarung des Johannes, 3.14:

3.14… Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes.

Sanskrit ist eine göttliche Sprache und vermag deshalb das Transzendente viel besser auszudrücken als jede andere Sprache. Sanskrit ist eine Sprache der göttlichen Schwingung.

Sri Aurobindo schreibt dazu [Birth Centenary Library, Vol. 11]:

„Die Sanskrit-Sprache ist die devabhāṣā (= göttliche Sprache) oder Ursprache, die die Menschen in Uttara Meru zu Beginn des Manwantara sprachen; aber ihre reine Form ist nicht das Sanskrit des Dwapara oder des Kali, sondern die Sprache des Satya Yuga, basierend auf der wahren und vollkommenen Beziehung von vāk und artha. Jeder seiner Vokale und Konsonanten hat eine spezifische und unveräußerliche Kraft, welche wesensimmanent existiert und nicht aufgrund von Entwicklung oder menschlicher Wahl; dies sind die Grundlaute, die den tantrischen bījamantras zugrundeliegen und die Wirksamkeit der Mantras selbst ausmachen“.

Sanskrit wurde mit der Zeit durch verschiedene Grammatiker wie z.B. Pāṇini (ca. 400 v. Chr.) weiter entwickelt, wodurch aus dem vedischen Sanskrit, das die Basis der Veden und frühen Upaniṣaden war, das klassische Sanskrit entstand, das man auch heute noch in dieser Form kennt.

Sanskrit ist eine sehr komplexe Sprache. Wenn man nicht die richtige Sanskritwurzel eines Wortes kennt, so kann eine Übersetzung völlig falsch sein.

Paramahansa Yoganandaji schreibt in der Einführung seines Buches Bhagavad Gita – Gott spricht mit Arjuna‚:

„Will man den inneren Sinn der Wörter und Namen erklären, so findet man nach eifrigem Suchen den wichtigsten Schlüssel dafür in den ursprünglichen Sanskritwurzeln. Grobe Fehler werden in der Definition von Sanskrit-Begriffen gemacht, wenn man nicht die intuitive Fähigkeit besitzt, die richtige Wurzel ausfindig zu machen und den korrekten Sinn aus dieser Wurzel herauszulesen – so wie das Wort zur Zeit seiner Entstehung gebraucht wurde. Wenn die richtige Grundlage da ist, kann man auch einen Sinn aus den verschiedenen Quellen herauslesen, die sich sowohl auf die allgemeine Bedeutung der Wörter als auch auf ihren speziellen Gebrauch beziehen und so eine überzeugende Gedankenverbindung herstellen.“

Vedisches Sanskrit

Peter Michel schreibt in seinen einführenden Worten zum Buch ‚Rig-Veda – Das heilige Wissen Indiens‘ unter II. Das vedische Sanskrit:

„Sanskrit, die indische Sakral-Sprache, ist in den vedischen Texten sehr altertümlich. Sie nähert sich erst in den nach 800 v. Chr. abgefassten Upanishaden ihrer klassischen Form. Dieser Sachverhalt ist von erheblicher Bedeutung, um zu verstehen, warum über Jahrhunderte hinweg zahlreiche sehr voneinander abweichende Deutungsversuche bestimmter Passagen oder Worte des Rig-Veda vorliegen. Es verbietet sich daher, die alten vedischen Texte aus dem Sprachkontext des Vedanta oder noch jüngeren Epochen des indischen Denkens zu interpretieren. Das gleiche Wort kann teilweise ein völlig anderes Bedeutungsfeld im Rig-Veda aufweisen als etwa in der Bhagavad Gita. Sri Aurobindo hält es sogar für möglich, dass die ältesten Hymnen des Rig-Veda „eine vergleichsweise moderne Entwicklung oder Version eines älteren lyrischen Evangeliums sind, das in die freieren und geschmeidigeren Formen einer noch früheren menschlichen Sprache gekleidet war“. Mit Recht weist der deutsche Herausgeber dieses Werks von Aurobindo, Rolf Hinder, darauf hin, dass schon der Veda selbst zwischen ‚alten‘ und ‚modernen‘ Rishis unterscheide, wobei letztere sich im Dunkel der ‚Halbgötter-Epoche‘ verlieren.

Die mündliche Überlieferung der vedischen Texte steht in engem Zusammenhang mit der gleichsam mantrischen Bedeutung des alten Sanskrit, weshalb Aurobindo von der ‚Vedischen Prosodie‘ spricht, also einer speziellen Silbenmessungs- oder Silbenbetonungs-Lehre. Dabei kam es mehr auf die Bedeutung eines einzelnen Wortes (und seines Klanges!) als auf die spätere Zusammenziehung (Sandhi) von mehreren Worten an, wie sie heute jeder Schüler des Sanskrit in den ersten Übungsstunden erlernt.“

Sri Aurobindo schreibt in ‚das Geheimnis des Veda‘ S. 27:

„Die vedischen Rishis folgten, wie es bei einer lebendigen Sprache natürlich ist, eher dem Ohr denn einer festen Regel; manchmal verschmolzen sie getrennte Wörter, manchmal ließen sie sie unverbunden. Aber als der Veda niedergeschrieben wurde, hatte das Gesetz wohlklingender Verschmelzung (Euphonie) eine viel despotischere Macht über die Sprache, und der alte Text wurde von den Grammatikern soweit wie möglich in Einklang mit ihren Regeln niedergeschrieben.“

Sri Aurobindo schreibt weiter in ‚das Geheimnis des Veda‘ S. 63:
„Das vedische Sanskrit repräsentiert ein noch frühes Stadium in der Entwicklung der Sprache. Selbst in seinen äußeren Merkmalen ist es weniger festgelegt als jede andere klassische Sprache. Es hat eine Vielfalt von Formen und Abwandlungen. Es ist fließend und vage und doch sehr subtil im Gebrauch von Fällen und Zeiten. In psychologischer Hinsicht hat es sich noch nicht kristallisiert, ist es noch nicht vollständig verhärtet zu den starren Formen intellektueller Präzision. Das Wort ist für den vedischen Rishi noch etwas Lebendiges, Krafterfülltes, kreativ und formgebend. Es ist noch nicht ein konventionelles Symbol für den Gedanken, sondern selbst der Vater und Gestalter der Gedanken. Es trägt in sich die Erinnerung an seine Wurzel, ist sich noch seiner eigenen Geschichte bewusst.“

Abschliessend schreibt Peter Michel zum Thema ‚das vedische Sanskrit‘ in ‚Rig-Veda – Das heilige Wissen Indiens‘:

„Wenn daher ein alter vedischer Text, wie die hier vorliegende Übersetzung des Rig-Veda, interpretiert und gedeutet wird, sollte der Hinweis von Sri Aurobindo auf den geistigen Kontext, auf das religiöse Umfeld der vedischen Seher, unbedingt Beachtung und Anwendung finden. Andernfalls bleiben bestimmte spirituelle Symbole oder vedische Sprachbilder völlig unverständlich oder werden sinnentstellend fehlgedeutet. Es gibt hinter dem geschriebenen Veda einen verborgenen, geheimen Veda, der nur Eingeweihten zugänglich war.“

Klassisches Sanskrit

Wie schon in einem früheren Blogbeitrag erwähnt, wurde Sanskrit zuerst nur mündlich übermittelt. Mit der Zeit wurden die Texte niedergeschrieben und die Sanskrit-Grammatiker begannen diese Sprache mehr und mehr zu systematisieren und zu perfektionieren, was auch in der üblichen Wortbedeutung von Sanskrit zum Tragen kommt.

Sanskrit besteht aus den Worten sa skta, was ›zugerüstet‹, ›korrekt für den sakralen Gebrauch gebildet‹ (aus Mayrhofer, Sanskrit-Grammatik) oder auch ›perfekt gemacht‹ bedeutet.

Auf metaphysischer Ebene hat Sanskrit eine feinere Bedeutung. Paramapadma Dhiranandaji erklärt Sanskrit in ‚Yogamrita‘ mit folgenden Worten: 

„Sanskrit ist das deutsche Wort für samaskrita (saskta). Sama bedeutet ›Gleichgewicht‹, skta bedeutet ›gemacht‹ oder ›getan‹. samaskrita (saskta) bedeutet im übertragenen Sinne: ›Der Zustand des ausgeglichenen Bewusstseins‹.“

Paramahansa Yoganandaji schreibt in „Autobiografie eines Yogi“:

„Das vorbildlich aufgebaute Sanskrit-Alphabet besteht aus 50 Buchstaben, von denen jeder eine feststehende unveränderliche Aussprache hat. George Bernard Shaw schrieb in seiner geistreichen Art eine Abhandlung über das auf dem Lateinischen aufgebaute und phonetisch unzulängliche Alphabet, in welchem sich 26 Buchstaben vergeblich bemühen, den vielen Lauten gerecht zu werden. Mit seiner üblichen Kompromisslosigkeit… dringt George Bernard Shaw darauf, ein neues Alphabet mit 42 Buchstaben einzuführen… Ein solches Alphabet würde annähernd dem phonetisch einwandfreien Sanskrit-Alphabet entsprechen, das mit seinen 50 Buchstaben jede falsche Aussprache verhindert.“
…..
„‘Wer meine Grammatik kennt, der kennt Gott.‘ Diese ehrfurchtsvollen Worte, die sich auf die mathematische und psychologische Vollkommenheit des Sanskrit beziehen, stammen von Pāṇini, einem Philologen des indischen Altertums. Wer die Sprache bis zu ihrem Ursprung verfolgt, muss in der Tat allwissend werden.“

Sanskrit und die Indogermanischen Sprachen

Wilfried Huchzermeyer schreibt in seinem Buch ‚Erlebnis: Sprache Sanskrit‘ auf Seite 11:

„In der großen Familie der Sprachen der Welt gehört Sanskrit, das Altindische, zum indoeuropäischen Zweig und nimmt dort eine zentrale Position ein. Fast alle europäischen Sprachen gehören diesem Zweig an, mit einigen wenigen Ausnahmen wie Finnisch, Ungarisch und Baskisch. Demgegenüber sind z.B. Griechisch, Lateinisch, Englisch, Deutsch oder Russisch als ferne Verwandte des Altindischen zu betrachten. Sie alle gingen aus dem sogenannten Urindogermanischen hervor, das vor vielen tausend Jahren gesprochen wurde.

Aus dieser Ursprache entwickelten sich verschiedene Zweige wie das Keltische, Germanische, Italienische, Griechische, Altindische, Iranische, Baltische und Slawische, die im Laufe der Zeit eine Reihe von Abkömmlingen hervorbrachten. So entstanden aus dem Slawischen u.a. Russisch, Polnisch und Tschechisch, aus dem Baltischen Lettisch und Litauisch, aus dem Germanischen Deutsch, Dänisch, Holländisch und Englisch. Die heutige Sprachen Europas haben sich seit der Zeit eines gemeinsamen Ursprungs sehr weit fortentwickelt, aber es gibt dennoch in ihrem Vokabular eine Reihe von erkennbaren Wortverwandtschaften mit dem Sanskrit.“

Wilfried Huchzermeyer schreibt weiter in ‚Erlebnis: Sprache Sanskrit‘:
„Der mit Abstand engste westliche Verwandte des Sanskrit im indoeuropäischen Sprachzweig ist die baltische Sprache Litauisch, besonders in ihrer Grammatik, die eine sehr alte Struktur bewahrt und ein komplexes System der Deklination und Konjugation hinterlassen hat.
…..
„In einem Essay über die Ursprünge der indoeuropäischen Sprachen (siehe das Geheimnis des Veda S.527-556) regt Sri Aurobindo Anfang des 20. Jahrhunderts an, die vergleichenden Sprachwissenschaften sollten sich nicht auf oberflächliche Wortähnlichkeiten konzentrieren, sondern vielmehr auf jene Wurzeln, die großen Wortfamilien und -sippen zugrundeliegen.“

Die untenstehende Tabelle zeigt einige Beispiele von Wortverwandtschaften:

SanskritLateinischDeutschEnglischFranzösisch
mātarmaterMuttermothermère
pitarpaterVaterfatherpère
nāmannomenNamenamenom