Asana Praxis – Teil 3

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Foto von violetten Blumen

Gesundheits- und Bewusstseinsbildung in der Disziplin Haṭha-Yoga möchte gerne das Interesse für mehr Harmonie im Lebensalltag in allen Menschen wecken. Haṭha-Yoga kann den physischen Körper und das Mental für einen Entwicklungsprozess öffnen, welcher eine neue körperliche Sammlungs- und Empfindungsfähigkeit sowie mehr Hingabe und Achtsamkeit/Konzentration ermöglicht. Es geht um einen Entwicklungsprozess für mehr Harmonie. Harmonie darf ohne Weiteres als Gelassenheit bezeichnet werden. Gelassenheit ist Gleichmut und der Zustand Yoga wird oft als Gleichmut erklärt.

Harmonie ist empfundene Ausgewogenheit. Diese Ausgewogenheit soll sich während der Disziplin Haṭha-Yoga immer etwas mehr in unserem physischen Körper und genauso in der mentalen Ebene einrichten dürfen. Harmonie ist wichtig, denn die meisten Probleme im Leben eines Menschen sind die Folge einer fehlenden Harmonie. Unaufgelöste körperliche und mentale Disharmonien wirken als Spannungszustände. Sie belasten und schwächen die physische sowie die psychische Lebenskraft. Wird eine starke Belastung von Körper und Mental nicht korrigiert, kann es zu gesundheitlichen Störungen kommen mit nachteiligen Auswirkungen auf das Skelett- und Muskelsystem. Unaufgelöste körperliche und mentale Disharmonien können leider auch die beiden übergeordneten Steuer- und Regulationssysteme ungünstig beeinflussen. Fehlregulationen dieser 2 Systeme stören die natürliche Funktionsweise körperlicher Organe sowie Drüsen. Das Abwehrsystem kann geschwächt werden, der Stoffwechsel sowie das „innere Milieu“ wie bspw. Blutdruck oder Mineralstoff- und Wasserhaushalt können aus dem Gleichgewicht geraten.

„Ruhe ist das wahre Fundament. Auf diesem Fundament dürfen wir uns an der Entfaltung von Aktivität erfreuen ohne Anstrengung, ohne Erschöpfung. Wir kommen nicht in Not.“ (inspiriert von Sri Aurobindo – 1872 bis 1950). Öffnen wir unser HERZ auch für die āsana –Praxis. Uns Menschen sollte es immer mehr um unser HERZ (psychisches Herz) gehen. Das psychische Herz mit seinen Fähigkeiten verwandelt uns in ein psychisches WESEN. Als psychisches WESEN können wir in Verbindung mit dem seelischen WESEN (ātmā) kommen. Dieses psychische WESEN möchte gerne in unserem physischen Körper wirken, um Disharmonie in HARMONIE umzuwandeln. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, beiseitetreten zu können. Es geht also um sein lassen können, und dies auch während der āsana-Praxis. Es geht um Verzicht und auf Verzicht folgt Frieden und Harmonie.

LEBEN möchte gelebt werden und alle lebendigen Prozesse, ja alle Lebensprozesse können nicht gehabt, nicht besessen und genauso wenig gemacht werden. LEBEN orientiert sich auf das SEIN, nicht auf das HABEN, nicht auf das MACHEN. SEIN und damit LEBEN im physischen Körper zu entwickeln, dies verlangt eine Umwandlung vom Körper hin zum Leib. Es geht um „Körper haben oder Leib sein“. Gehen wir der Geschichte der Wörter etwas nach, so erfahren wir, dass das Wort Leib mit dem Wort Leben verbunden ist. Das Wort „Körper“ ist abgeleitet vom lateinischen „corpus“ – Körper, aber auch Leichnam.

In unserer āsana-Praxis orientieren wir uns am SEIN, wir beziehen uns auf den Leib. Hier im Leib können wir etwas erfahren und erkennen. Dies macht Freude und gerne erinnern wir uns an die Aussage von Satprem (1923 – 2007, ein bedeutender Schüler von Mirra Alfassa – die Mutter, 1878 – 1973):
< YOGA ist keine Art zu handeln, sondern eine Art zu sein >. Vermutlich geht es auch darum, einiges zu verlernen. Diese Art zu sein können wir mit Hilfe unseres HERZENS besser entwickeln.

Somit kehren wir zum Thema Haṭha-Yoga und seine Maßnahmen für einen kräftigen unteren Rücken zurück. Freuen wir uns an einer Übungsdisziplin, welche Harmonie in das Skelett- und Muskelsystem bringen und darüber hinaus viel Ruhe sowie physischen und vegetativen Gleichmut kultivieren kann. Beginnen wir mit den Bauchmuskeln.
Die Bauchwandmuskulatur umschließt den Bauch- und Beckenraum. Die Bauchwandmuskulatur verbindet den Brustkorb mit dem Becken. Zusammen mit autochthonen Rückenmuskeln (Eigenmuskeln der Wirbelsäule) im unteren Rücken und der Beckenbodenmuskulatur stützen die Bauchwandmuskeln den unteren Teil des Rumpfes von der Körpervorderseite her. Alle 4 Bauchwandmuskeln sind paarig angelegte Muskeln. Sie kommen auf der rechten und ebenfalls auf der linken Körperseite vor. Sie umhüllen den Bauch und arbeiten als Einheit zusammen. Ihre Muskelaktivität löst verschiedene Körperbewegungen aus. Je nachdem, ob sich nur eine Hälfte eines paarig angelegten Bauchmuskels zusammenzieht oder beide Hälften bewirken sie folgende Bewegungen: Vorbeugung des Rumpfes (Flexion), Seitneigung des Rumpfes (Lateralflexion), Drehung des Rumpfes zur Gegenseite / Drehung des Rumpfes zur gleichen Seite, Bauch einziehen, Spannung der Bauchwand (Bauchpresse, also „Crunch“) und Beckenanhebung. Bauchwandmuskeln unterstützen sich grundsätzlich bei den obigen Bewegungen gegenseitig, sie funktionieren somit untereinander als Synergisten (Mitspieler). Zu den Bauchwandmuskeln zählen: gerader Bauchmuskel (m. rectus abdominis), äußerer schräger Bauchmuskel (m. oblilquus externus abdominis), innerer schräger Bauchmuskel (m. oblilquus internus abdominis) und der quer verlaufende Bauchmuskel (m. transversus abdominis). Der Musculus quadratus lumborum (quadratische Lendenmuskels), dieser tief gelegene Bauchmuskel stützt die Hüften sowie die Wirbelsäule und er unterstützt die restlichen Bauchwandmuskeln.

Zur Förderung eines kräftigen unteren Rückens dürfen wir die Bauchwandmuskulatur und den quadratischen Lendenmuskel mit Hilfe ihrer Muskelkontraktionen (konzentrisch und exzentrisch) sowie mit Hilfe der statischen oder dynamischen Arbeitsweise (isometrisch & isotonisch) während der āsana-Praxis aktivieren.

Es stehen uns viele gute Yoga-Stellungen zur Verfügung wie u.a.: Bootstellung in Rückenlage, Beinhebestellung, Kobrastellung, Torstellung zur Seite oder die gedrehte Dreieckstellung.

Die oben stehenden Bilder stammen aus dem Buch ‚Yogamrita‘ von Yogi Paramapadma Dhirananda, welches in unserem Eigenverlag als Online-Publikation veröffentlicht wurde.

Auf der Körperrückseite liegen die autochthonen Rückenmuskeln. Sie werden auch als die primären Rückenmuskeln bezeichnet. Es sind die Eigenmuskeln der Wirbelsäule. Diese autochthonen, also ortständigen Muskeln richten die Wirbelsäule auf. Diese Eigenmuskeln der Wirbelsäule funktionieren als Halte- und genauso als Bewegungsmuskulatur.

Die autochthone Rückenmuskulatur richtet unsere Wirbelsäule auf. Wie Seilzüge an einem Segelschiffsmast richtet sie unsere Wirbelsäule auf.

Die autochthone Rückenmuskulatur dürfen wir uns in 3 Schichten vorstellen, nämlich einer inneren Schicht mit sehr kurzen Muskeln, einer mittleren Schicht, welche größere Wirbelsäulensegmente miteinander verbindet und einer äußeren Schicht, welche mit ihren langen Muskeln weit voneinander gelegene Wirbelsäulensegmente miteinander verbindet.

Alle Muskeln unserer autochthonen Rückenmuskulatur sind tief liegende Rückenmuskeln. Unterteilt werden sie in einen medialen und in einen lateralen Trakt. Autochthone Muskeln des medialen Traktes orientieren sich zur Körpermitte hin. Sie funktionieren hauptsächlich als Haltemuskulatur und sie drehen die Wirbelsäule. Sie übernehmen folgende Aufgaben: Streckung der Wirbelsäule, Stützfunktion für die aufrechte Haltung, Stabilisierung der Wirbelsäule und sichern der gesunden Krümmungen, Drehung zur Gegenseite, Drehung zur gleichen Seite, Streckung des Kopfes und Halten des Kopfes.

Autochthone Muskeln des lateralen Traktes orientieren sich zur Körperseite hin. Sie funktionieren hauptsächlich als Bewegungsmuskulatur. Sie übernehmen folgende Aufgaben: Streckung der Wirbelsäule, Rückwärtsbeugung, also eine Streckung der Wirbelsäule zum Rücken hin, leichte Drehbewegungen (untere Brustwirbelsäule), Seitwärtsneigung der Wirbelsäule zur gleichen Seite, Rückwärtsbeugung des Kopfes in den Nacken, Drehung des Kopfes zur gleichen Seite und seitliche Neigung des Kopfes zur gleichen Seite.

Regelmäßige Aktivierung der autochthonen Rückenmuskulatur im Bereich Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule hält diese tiefen Rückenmuskeln gesund und sie können ihre Stützfunktion für die gesamte Wirbelsäule gut übernehmen. Darüber hinaus verleihen gesunde autochthone Rückenmuskeln der Wirbelsäule Stabilität und Beweglichkeit. Zusammen mit den 6 Bändern der Wirbelsäule sichern sie die gesunden Wirbelsäulenkrümmungen. Dies sind die Hals- und Lendenlordose sowie die Brust- und Sakralkyphose. Seitliche Wirbelsäulenverschiebungen (Skoliosen ohne Wirbelrotation) können mit gesunden autochthonen Rückenmuskeln verhindert werden und die Bandscheiben erfahren guten Schutz. Für den Aufbau eines kräftigen unteren Rückens ist die Aktivierung und auch Dehnung folgender autochthoner Rückenmuskeln nötig: mm. interspinales (Zwischendornmuskeln), mm. spinales (Dornmuskeln), mm. multifidi (vielgespaltener Rückenmuskel), mm. intertransversarii (Zwischenquerfortsatzmuskeln), mm. iliocostales (Darmbein-Rippenmuskeln) und mm. longissimus (Langmuskel des Rückens). Die eigentlichen „Aufrichter“ der Wirbelsäule bildet das Muskelsystem, welches größere Wirbelsäulensegmente miteinander verbindet. Es sind Muskeln des lateralen Traktes, es sind der Langmuskel des Rückens und die Darmbein-Rippenmuskeln.

Die āsana-Praxis zeigt uns viele gute Körperstellungen, welche im Stehen, im Liegen, im Sitzen oder im Kniestand ausgeführt werden, um diese autochthonen Rückenmuskeln zu aktivieren und zu dehnen. Natürlich gehören auch Arm gestützte Positionen dazu.

Zur Förderung eines kräftigen unteren Rückens dürfen wir die autochthonen Rückenmuskeln mit Hilfe ihrer Muskelkontraktionen (konzentrisch und exzentrisch) sowie mit Hilfe der statischen oder dynamischen Arbeitsweise (isometrisch & isotonisch) während der āsana-Praxis aktivieren.

Wir sind bei der Hüftmuskulatur angekommen. Viele Muskeln umgeben die Hüften. Für einen kräftigen unteren Rücken sind die äußeren Hüfmuskeln (die Gesäßmuskeln) und die tief liegenden Hüftmuskeln (die pelvitrochantären Muskeln) wichtig. Der aufrechte Gang des Menschen fordert viel vom Becken. Das Becken ist ein wichtiges Zentrum für den Prozess der Aufrichtung. Viele Muskeln am Rumpf und ebenfalls Beinmuskeln sind an der Aufrichtung des menschlichen Körpers beteiligt. Zwischen Rumpf und Beinen liegt das knöcherne Becken. Dieser knöcherne Ring/Beckenring besteht aus dem Hüftbein und dem Kreuzbein.

Eine gute Beckenposition ermöglicht eine gute Aufrichtung, fördert den Erhalt der Körpersymmetrie, unterstützt die gesunden Krümmungen der Wirbelsäule, entlastet den unteren Rücken und ist eine wichtige Voraussetzung für einen kräftigen unteren Rücken. Als Verbindungsstelle zwischen Rumpf und Beinen übernimmt unser Becken eine wichtige tragende Funktion und sorgt ebenfalls für eine ausgewogene Kraftübertragung. Die Gesäßmuskulatur liegt auf der Körperrückseite. Wie bereits erwähnt, sind es Muskeln, welche das Becken mit den Beinen verbinden. Zusammen mit den tief liegenden Hüftmuskeln (pelvitrochantäre Muskeln) und den Adduktoren unterstützen sie die Hüftzentrierung. Hüftzentrierung verhindert und lindert Schmerzen bei der seitlichen Körperpartie unterhalb der Taille bis zum oberen Teil des Oberschenkels. Die oben erwähnten Muskeln, welche aktiv, also als handelnde Muskeln, als „Spieler“ (Agonisten) die Hüftzentrierung bewirken, sie helfen den Bandscheiben im Bereich der Lendenwirbelsäule in ihrer Stützfunktion.

Die Gesäßmuskeln arbeiten mit vielen Muskeln positiv zusammen. Wie erläutert, fördern sie die Hüftzentrierung und genauso helfen sie bei der Verbesserung der Beckenposition mit. Eine ausgewogene Muskelaktivität von Gesäßmuskeln, tiefer liegenden Hüftmuskeln (pelvitrochantäre Muskeln), Hüftbeugemuskeln (innere Hüftmuskeln an der Körpervorderseite) sowie vorderen Oberschenkelmuskeln ist wichtig. Gemeinsam bauen sie eine gute Beckenstabilität auf und verbessern die Beckenposition. Die äußeren Hüftmuskeln sind folgende Muskeln: großer, mittlerer und kleiner Gesäßmuskel (mm. gluteus maximus, medius, minimus) und der Schenkelbindenspanner (m. tensor fascia latae). Ihre Muskelaktivität bewirkt folgende Bewegungen im Hüftgelenk: Hüftstreckung (Extension), Hüftabspreizung (Abduktion), Hüftauswärtsdrehung (Außenrotation) und Hüfteinwärtsdrehung (Innenrotation).

Abschließend betrachten wir die tiefer liegende Hüftmuskulatur an der Körperrückseite, es sind die pelvitrochantären Muskeln. Diese auf der Körperrückseite tiefer liegenden Hüftmuskeln kümmern sich zusammen mit den Gesäßmuskeln (äußere Hüftmuskeln) gut um den Erhalt oder den Aufbau eines kräftigen unteren Rückens. Mit ihren Funktionen, nämlich der Hüftstreckung und der Hüftauswärtsdrehung nehmen sie auch positiv Einfluss auf das Becken, sie beteiligen sich an der Hüftzentrierung. Wenn wir die Hüftzentrierung in der āsana-Praxis fördern, dann hilft dies dem Aufbau eines kräftigen unteren Rückens. Folgende Bewegungen sollten wir während der āsana-Praxis für die Hüftzentrierung ausbalancieren: Hüftstreckung, Hüftauswärtsdrehung, Hüfthinziehung und Hüftabspreizung. Zu den hinteren, den tiefer liegenden Hüftmuskeln (pelvitrochantäre Muskeln) zählen: birnenförmige Muskel (m. piriformis), unterer Zwillingsmuskel (m. gemellus inferior), oberer Zwillingsmuskel (m. gemellus superior), innerer Hüftlochmuskel (m. obturator internus), äusserer Hüftlochmuskel (m. obturator externus) und der viereckige Schenkelmuskel (m. quadratus femoris).

Zur Förderung eines kräftigen unteren Rückens dürfen wir diese 6 tiefer liegenden Hüftmuskeln auf der Körperrückseite (pelvitrochantäre Muskeln) mit Hilfe ihrer Muskelkontraktionen (konzentrisch & exzentrisch) sowie mit Hilfe der statischen oder dynamischen Arbeitsweise (isometrisch & isotonisch) aktivieren.

Es stehen uns viele gute Yoga-Stellungen zur Verfügung wie u.a.: Bootstellung in Bauchlage, Brückenstellung, halbe Heuschreckenstellung oder die Baumstellung.

Die oben stehenden Bilder stammen aus dem Buch ‚Yogamrita‘ von Yogi Paramapadma Dhirananda, welches in unserem Eigenverlag als Online-Publikation veröffentlicht wurde.

Die Disziplin Haṭha-Yoga bezieht sich auf den stofflichen Körper mit seiner physischen Lebenskraft (Blut) und seiner nervlichen Lebenskraft (Lebensimpulse). Diese Lebenskräfte dürfen vor Schwäche, vor Störungen und vor Unreinheit beschützt und Körper sowie das Mental von Spannungszuständen befreit werden. YOGA ist LEBEN und LEBEN braucht immer einen Bezug. Beziehen wir uns auf das HERZ, dann wird unser Leben harmonischer und alles kommt gut.

Dieser Beitrag beinhaltet Auszüge aus dem ‚Zusatzlehrgang für ausgebildete Yogalehrer/innen‘.