Annamaya Kosha – der physische Körper

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Der physische Körper wird in der Taittirīya-Upaniṣad annamaya kośa genannt und gilt als eine von fünf Verhüllungen (kośa) der göttlichen Seele (ātmā). Mehr dazu im Blogbeitrag ‚die fünf Umhüllungen von ātmā’. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der aus anna (Nahrung) geformten Hülle – annamaya kośa, gemeint ist der physische Körper. Es wird vor allem aus der Sicht des Integralen Yoga nach Sri Aurobindo und Mirra Alfassa (die Mutter) aufgezeigt, wie wichtig der physische Körper als Basis für die yogische Transformation ist.

Der physische Körper wurde in früheren Yoga-Techniken noch nicht mit einbezogen. Viele Yogis wussten damals, dass es ein einfacherer Weg ist, das Bewusstsein zu transzendieren, als den Körper zu vergöttlichen. Erst mit dem Aufkommen des Tantrismus (ca. ab 500 n. Chr.) wurde der Körper in den Yoga-Techniken (z.B. Hatha-Yoga) mit einbezogen. Auszug aus Der Weg des Yoga – Seite 114:
„… Während die früheren Yoga-Techniken , … diesen übelduftenden, wertlosen Leib, dieses Gemisch aus Knochen, Haut, Sehnen, Mark, Fleisch, Samen, Blut, Speichel, Tränen, Augenfluss, Kot, Urin, Galle und Schleim1) … vor allem durch Askese zu bändigen suchen, so dass er bei der Meditation nicht mehr «stört», sehen die tantrischen Techniken, besonders der Hatha-Yoga, der ab dem 12. Jh. aufkommt, den Körper als Tempel des Göttlichen.  …. “

Besonders im Integralen Yoga nach Sri Aurobindo und Mirra Alfassa (die Mutter) spielt der physische Körper (annamaya kośa) ein wichtige Rolle –  Auszug aus Licht auf Yoga, Seite 7 von Sri Aurobindo:
„Der Weg, dem dieser Yoga (Integraler Yoga) folgt, unterscheidet sich hinsichtlich seines Zwecks von anderen Yoga-Wegen, denn sein Ziel besteht nicht nur darin den Menschen aus dem üblichen, nichtwissenden Welt-Bewusstsein zum göttlichen Bewusstsein emporzuführen, sondern auch die supramentale Kraft dieses göttlichen Bewusstseins in das Nichtwissen des Mentals, des Lebens (Vital) und des Körpers herniederzubringen, diese zu wandeln, das Göttliche in der Welt zu offenbaren und ein göttliches Leben in der Materie zu schaffen. Das ist ein außerordentlich schwer zu erreichendes Ziel und ein schwieriger Yoga. Vielen oder den meisten wird er undurchführbar erscheinen.“

Die Voraussetzung, dass das Göttliche (Supramental) in Mental (manomaya kośa), Vital (prāṇamaya kośa) und Körper (annamaya kośa) herniedergebracht werden kann, ist eine vollkommene Beruhigung und Harmonisierung dieser Wesensteile.

Auszug aus Sri Aurobindo – oder das Abenteuer des Bewusstseins, Seite 108, von Satprem:
(ISBN 978-3-87348-166-4, deutsche Übersetzung Cay Hehner)
„Nach dem Mental und dem Vital spielt in Sri Aurobindos Yoga das Physische als drittes Instrument des Geistes in uns eine besondere Rolle, denn ohne es ist kein göttliches Leben auf der Erde möglich. …
Der Yoga des Körpers erfordert eine weit größere Bewusstseinsentwicklung, als wir bis jetzt in Betracht zogen. Je mehr man sich der Materie nähert, desto höherer Bewusstseinskräfte bedarf es, denn der Widerstand wächst in dem Maße unseres Absteigens. Die Materie ist der Ort größter spiritueller Schwierigkeiten, aber auch der Ort des Sieges. So übersteigt der Yoga des Körpers den Bereich unserer mentalen und vitalen Kräfte, ein supramentaler Yoga ist erforderlich.“
Seite 116: „Wir stoßen hier auf das Problem der Empfänglichkeit der Materie für höhere Bewusstseinskräfte, eines der Hauptprobleme im supramentalen Yoga. Das ist auch einer der Gründe, warum Sri Aurobindo und die Mutter so viel Wert auf die Kultivierung unserer physischen Grundlage, unseres Körpers, legten. Ohne diese kann man vielleicht in tiefste Ekstasen entrücken oder sich in höchsten Höhen des Absoluten verlieren, aber es gelingt einem nicht, diese Intensitäten und Weiten des Geistes in unser ‚inferiores‘ Königreich zu bringen – in Mental, Vital und Körper-, um dort ein göttliches Leben zu schaffen.“

Umgang mit Störungen des physischen Körpers (Krankheiten)

Wie bereits im Blogbeitrag ‚die fünf Umhüllungen von ātmā’ beschrieben, ist die göttliche Seele (ātmā) in einer entsprechend modifizierten Form als Puruṣa in jedem kośa verborgen und steuert deren Vorgänge. Im physischen Körper (annamaya kośa) ist es die innere wahre Physis (annamaya puruṣa), welche die ursprüngliche evolutionäre Kraft ist und welche übergeordnet alles im Körper steuert.

Die Synthese des Yoga‘ (Seite 644) von Sri Aurobindo:
Die Seele im Körper ist das physische bewusste Wesen, annamaya purusha. Es verwendet das Vital und das Mental in einer für die physische Erfahrung charakteristischen Weise. Da alles Übrige dann nur als Folgeerscheinung der physischen Erfahrung angesehen wird, schaut dieses physische bewusste Wesen nicht weiter als auf das Leben und den Körper. Insofern es etwas fühlt, das jenseits seiner physischen Individualität liegt, nimmt es nur das physische Universum wahr und empfindet höchstens sein Einssein mit der Seele der physischen Natur.“

Sobald eine längere Störung des Gleichgewichts in unserem System (Mental, Vital und Körper) eintritt, z.B. wenn sich Mental und Vital zu stark in die physischen Belange einmischen, können Störungen und Krankheiten des Körpers ausgelöst werden. Anstatt dass der Körper durch die innere wahre Physis (annamaya puruṣa) geleitet wird, überlagern sich Ansprüche von Mental und Vital. Paramapadma Dhiranandaji sagte oft: „Die Wurzel aller Krankheiten ist im Geist (hier gemeint: im Mental).“

Dazu Mirra Alfassa (die Mutter) in ‚Die Heilkraft des Yoga‘ von Sri Aurobindo und Mutter:
Seite 14: „Krankheit – Eine Störung des Gleichgewichts
… Ich sagte euch zuerst, dass jede Krankheit – ohne Ausnahme – der Ausdruck einer Gleichgewichtsstörung ist. Davon gibt es viele … zuerst spreche ich nur vom Körper, ich spreche nicht von den nervlich bedingten Krankheiten des Vitals oder von Geisteskrankheiten. Das schauen wir uns später an. Wir sprechen nur von diesem armen kleinen Körper. Ich behaupte, dass alle Krankheiten, restlos alle, welcher Art auch immer (ich würde sogar die Unfälle dazurechnen) auf eine Störung des Gleichgewichts zurückgehen. In anderen Worten, wenn alle eure Organe, alle Glieder und Teile eures Körpers in Harmonie zueinander stehen, erfreut ihr euch einer vollkommenen Gesundheit. Wenn sich aber irgendwo das geringste Ungleichgewicht einstellt, fühlt ihr euch entweder etwas kränklich oder ziemlich krank, sogar sehr krank, oder es stößt euch ein Unfall zu. Das passiert immer dann, wenn ein inneres Ungleichgewicht herrscht.“
Seite 52: „Aber die wahre Haltung bei jeder Krankheit ist, sich zu sagen: >Da ist etwas nicht in Ordnung, jetzt gilt es herauszufinden, was das ist<.“
Seite 59: „Die eigentliche Krankheit ist die Angst. Wirf die Angst aus dem System, und die Krankheit wird weggehen.“

Weitere Aussagen von Mirra Alfassa (die Mutter):
„Das einzige, was ich bei Krankheiten vorschlagen kann, ist Frieden herabzurufen. Halte das Mental vom Körper fort, durch welche Mittel auch immer – ob durch das Lesen der Bücher Sri Aurobindos oder durch Meditation. In diesem Zustand wirkt die Gnade. Und es ist allein die Gnade, die heilt. Medikamente geben dem Körper nur Vertrauen. Das ist alles.“

Auszug aus Abendgespräche mit Sri Aurobindo, Seite 43:
Frage eines Schülers:
Was sollte die Haltung eines Sadhaks sein in Bezug auf physische Krankheit?
Antwort von Sri Aurobindo:
Vor allen Dingen muss er im vitalen Wesen und im Mental vollkommen unberührt bleiben. Die Krankheit ist die Auswirkung der Kräfte der Natur. Er muss seinen Willen einsetzen, um die Krankheit zurückzuweisen, und sein Wille muss als Vertreter des göttlichen Willens benutzt werden. Wenn der Göttliche in den Adhara [Gefäß] hinabsteigt, dann arbeitet er nicht mehr indirekt durch den Willen des Sadhaks, sondern direkt, und entfernt die Krankheit. Wenn das psychische Wesen erwacht, ist es fähig, den Einfluss der Krankheit wahrzunehmen, noch bevor sie in den Körper eintritt. Nicht nur nimmt man sie wahr, sondern man weiß, welches Organ angegriffen werden wird, und mit Hilfe der Höheren Macht lässt sich der Angriff abweisen.“ 

Abschliessend noch ein Spruch von Swami Sri Yukteswar in Autobiografie eines Yogi:
„… Die Kraft der Einbildung ist so groß, dass sie sowohl Krankheit als auch Gesundheit hervorrufen kann. Selbst wenn ihr krank seid, glaubt nicht an die Wirklichkeit eurer Krankheit, denn ein unbeachteter Gast zieht sich bald wieder zurück.“

Buchtipp:  Die Heilkraft des Yoga – von Sri Aurobindo und Mirra Alfassa (die Mutter)