Beitrag vom 26. Mai 2019, Nachtrag vom 23. Januar 2022, siehe ganz unten.
In der Taittirīya-Upaniṣad werden die 5 Verhüllungen (Sanskrit: kośa) von ātmā (individuelle göttliche Seele) aufgezählt:
- annamaya kośa, die Verhüllung durch den physischen Körper
- prāṇamaya kośa, die Verhüllung durch die Lebensenergie (Vital)
- manomaya kośa, die Verhüllung durch das Denkbewusstsein (Mental)
- vijñānamaya kośa, die Verhüllung durch das Erkenntnisbewusstsein
- ānandamaya kośa, die Verhüllung durch die Erfahrung von Wonne
Die Taittirīya-Upaniṣad beschreibt, dass hinter jedem dieser kośas (Hüllen), die göttliche Seele (ātmā) in einer entsprechend modifizierten Form als Puruṣa verborgen ist und dort residiert (wohnt).
- in annamaya kośa residiert annamaya puruṣa
- in prāṇamaya kośa residiert prāṇamaya puruṣa
- in manomaya kośa residiert manomaya puruṣa
- in vijñānamaya kośa residiert vijñānamaya puruṣa
- in ānandamaya kośa residiert ānandamaya puruṣa
Diesen Sachverhalt hat Paramapadma Dhiranandaji bei seinen Meditations-Seminaren und beim Schriftenstudium stets erwähnt. Aber auch Sri Aurobindo (1872 – 1950) widmet sich in seinen Schriften des Integralen Yoga intensiv den 5 Verhüllungen (kośas).
Es ist sehr interessant, dass Paramapadma Dhiranandaji für das Schriftenstudium vom 04./05. Juni 2005 in Wilen mit dem Thema: 5 kośas (Hüllen) von Atma, Textstellen von Sri Aurobindos Werken als Zitate für sein Referat verwendet hat (im oben auf YouTube verlinkten Video zu sehen ab 29:00).
Wir verfügen über den englischen Originaltext von Dhiranandaji’s Referatspapier und haben eine völlige Übereinstimmung mit Textstellen aus verschiedenen englischen Büchern von Sri Aurobindo gefunden. Nachfolgend werden diese Textstellen in Englisch (kann durch Anklicken ausgeklappt werden) und auch mit den deutschen Übersetzungen der entsprechenden Bücher von Sri Aurobindo wiedergegeben.
Es ist zu beachten, dass Dhiranandaji’s mündliche Kommentare zu diesen Textstellen (siehe YouTube-Video) der Lehre des Kriyā-Yoga entsprechen und nicht exakt mit dem Integralen Yoga nach Sri Aurobindo übereinstimmen (siehe auch ganz unten: Nachtrag vom 23.01.2022).
“The spirit, the Purusa is one but it adapts itself to the formations of Nature. Over each grade of our being a power of the Spirit presides; we have within us and discover when we go deep enough inwards a mind-self, a life-self, a physical –self ; there is a being of mind, a mental Purusa, expressing something of itself on our surface in thoughts, perceptions, activities of our mind nature, a being of life which expresses something of itself in the impulses, feelings, sensations, desires, external life activities of our vital nature, a physical being, a being of the body which expresses something of itself in the instincts, habits, formulated activities of our physical nature. These beings or part selves of the self in us are powers of the Spirit and therefore not limited by their temporary expression, for what is thus formulated is only a fragment of its possibilities; but the expressions creates a temporary mental, vital or physical personality which grows and develops even as the psychic being or soul personality grows and develops within us. Each has its own distinct nature, its influence, its action on the whole of us; but on our surface all these influences and all this action, as they come up, mingle and create an aggregate surface being which is a composite, an amalgam of them all, an outer persistent and yet shifting and mobile formation for the purposes of this life and its limited experience.”
Deutsche Übersetzung aus dem Buch ‚Das Göttliche Leben‘ – zweites Buch, Teil 2, die dreifache Umwandlung (Seiten 307/308) von Sri Aurobindo:
„Der Geist, purusha, ist einer; er passt sich aber den Gestaltungen der Natur an. Über jeder Stufe unseres Wesens waltet eine Macht des Geistes. Wir besitzen in unserem Innern – und wir entdecken, wenn wir tief genug nach innen gehen – ein Selbst des Mentals, ein Selbst des Lebens, ein physisches Selbst. Es gibt ein Wesen des Mentals, einen mentalen purusha, der etwas von sich an unserer Außenseite in den Gedanken, Wahrnehmungen und Aktivitäten unserer Mental-Natur zum Ausdruck bringt. Wir haben auch ein Wesen des Lebens, das etwas von sich in den Impulsen, Gefühlen, Begehren und den äußerlichen Lebens-Aktivitäten unserer vitalen Natur ausdrückt. Und dann gibt es ein physisches Wesen, ein Wesen des Körpers, das etwas von sich in den Instinkten, Gewohnheiten und zum Ausdruck gebrachten Arten des Wirkens unserer physischen Natur äußert. Diese Wesen oder diese Teil-Selbste des Selbsts in uns sind Mächte des Geistes. Darum werden sie durch ihren zeitweiligen Ausdruck nicht begrenzt. Denn was so in eine äußere Form gebracht wird, ist nur ein Bruchteil seiner Möglichkeiten. Aber diese Gestaltung nach außen erschafft eine zeitweilige mentale, vitale oder physische Persönlichkeit, die ebenso wächst und sich entfaltet, wie das psychische Wesen oder die Seele in uns wächst und sich entwickelt. Jede hat ihre besondere Natur und übt auf unser Ganzes ihren Einfluss und ihre Aktivität aus. An unserer Außenseite vermischen sich aber alle diese Einflüsse und dieses ganze Wirken, sobald sie hervortreten. Sie bilden ein Aggregat als vordergründiges Wesen, das eine Verbindung, eine Verschmelzung ihrer aller ist. Das ist eine äußere, beharrende und doch sich dauernd verändernde und bewegende Gestaltung für die Zwecke dieses Lebens und seine begrenzte Erfahrung.“
“Atman, the Self represents itself differently in the sevenfold movement of Nature according to the dominant principle of the consciousness in the individual being.
In the physical consciousness Atman becomes the material being, annamaya puruṣa.
In the vital of nervous consciousness Atman becomes the vital or dynamic being, prāṇamaya puruṣa.
In the mental consciousness Atman becomes the mental being, manomaya puruṣa.
In the supra-intellectual consciousness, dominated by the Truth or causal idea (called in the Veda – satyam ṛtam bṛhat, the True, the Right, the Vast), Atman becomes the ideal being or great Soul, vijñānamaya puruṣa or mahat ātman (The mahat ātman or Vast Self is frequently referred to in the Upanishads. It is also called bhūmā, the Large).
In the consciousness proper to the universal Beatitude, Atman becomes the all-blissful being or all-enjoying and all-productive Soul, ānandamaya puruṣa.
In the conscious proper to the infinite divine self-awareness which is also the infinite all-effective Will, (cit-tapas) Atman is the all-conscious Soul that is source and lord of the universe, caitanya puruṣa.
In the consciousness proper to the state of pure divine existence, Atman is sat puruṣa, the pure divine Self.
Man, being one in his true Self with the Lord who inhabits all forms can live in any of these states of the Self in the world and partake of its experiences. He can be anything he wills from the material to the all-blissful being. Through the Anandamaya he can enter into the Chaitanya and Sat Purusha.”
Deutsche Übersetzung aus dem Buch ‚Isha Upanishad‘ (Seite 41) von Sri Aurobindo:
„Atman, Das Selbst, stellt sich in der siebenfachen Bewegung Der Natur unterschiedlich dar, entsprechend dem beherrschenden Bewusstseinsprinzip im Einzelwesen.
Im physischen Bewusstsein wird Atman das materielle Wesen, annamaya puruṣa.
Im vitalen oder nervlichen Bewusstsein wird Atman das vitale oder dynamische Wesen, prāṇamaya puruṣa.
Im mentalen Bewusstsein wird Atman das mentale Wesen, manomaya puruṣa.
Im über-intellektuellen Bewusstsein, das von Der Wahrheit oder der Kausal-Idee beherrscht wird (im Veda satyam ṛtam bṛhat genannt – Das Wahre, Das Rechte, Das Weite), wird Atman das ideale Wesen oder die Große Seele, vijñānamaya puruṣa oder mahat ātman. (In den Upanishaden wird häufig auf den mahat ātman oder das Weite Selbst verwiesen. Es wird auch bhūmā, Das Große genannt).
Im Bewusstsein, das der Universalen Wonne eigen ist, wird Atman das allselige Wesen oder die all-genießende und all-schöpferische Seele, ānandamaya puruṣa.
Im Bewusstsein, das dem unendlichen göttlichen Selbst-Gewahrsein eigen ist, das ebenso der unendliche all-bewirkende Wille ist (cit-tapas), ist Atman die All-bewusste Seele, welche Quelle und Herr des Universums ist, caitanya puruṣa.
Im Bewusstsein, das dem Zustand des reinen göttlichen Seins eigen ist, ist Atman, sat puruṣa, das Reine, Göttliche Selbst.
Der Mensch, der in seinem Wahren Selbst eins ist mit dem Herrn, der allen Formen innewohnt, kann in jeder dieser Zustandsformen des Selbstes in der Welt leben und an dessen Erfahrungen teilhaben. Er kann alles sein, was er will, vom materiellen bis zum all-seligen Wesen. Durch Anandamaya kann er in den Chaitanya und Sat-Purusha eintreten.“
“Poised in the principle of Matter, the spirit becomes the physical self of a physical universe in the reign of a physical Nature ; Spirit is then absorbed in its experience of Matter; it is dominated by the ignorance and inertia of the tamasic Power proper to physical existence. In the individual it becomes a materialised soul, annamaya puruṣa, whose life and mind have developed out of the ignorance and inertia of the material principle and are subject to their fundamental limitations. For life in Matter works in dependence on the vital or nervous being; spirit itself in Matter is limited and divided in its self-relation and its powers by the limitation and divisions of this matter-governed and life-driven mind. This materialised soul lives bound to the physical body and its narrow superficial external consciousness, and it takes normally the experiences of its physical organs, its senses, its matter-bound life and mind with at most some limited spiritual glimpses, as the whole truth of existence.”
Deutsche Übersetzung aus dem Buch ‚Die Synthese des Yoga‘ (Seite 479) von Sri Aurobindo:
„Nimmt der Geist das Prinzip der Materie zur Grundlage, wird er zum physischen Selbst eines physischen Universums unter der Herrschaft der physischen Natur. Dann wird der Geist von seiner Erfahrung der Materie aufgezehrt. Er wird durch die Unwissenheit und Trägheit der tamas-Macht beherrscht, die der physischen Existenz eigenmächtig ist. Im Individuum wird er zu einer materialisierten Seele, annamaya puruṣa, ihr Leben und Mental haben sich aus Unwissenheit und Trägheit des materiellen Prinzips entwickelt und sind deren fundamentalen Begrenztheiten unterworfen. Das Leben in der Materie wirkt sich in Abhängigkeit vom Körper aus. Das Mental in der Materie funktioniert in Abhängigkeit vom Körper und vom vitalen oder nervlichen Wesen. Selbst der Geist ist in der Materie hinsichtlich seiner Selbst-Beziehung und seiner Mächte durch die Beschränkungen und Zerteilungen des von der Materie beherrschten und von den Lebensmacht getriebenen Mentals begrenzt und zerteilt. Die materialisierte Seele lebt in Gebundenheit an den physischen Körper und sein enges, oberflächliches äußeres Bewusstsein. Sie hält normalerweise die Erfahrungen ihrer physischen Organe, ihrer Sinne sowie ihres durch die Materie gebundenen Lebens und Mentals für die ganze Wahrheit der Existenz, wobei sie höchstens einige wenige begrenzte geistige Einblicke hat.“
“The Upanishad tells us that after the knowledge-self above the mental is possessed and all the lower selves have been drawn up into it, there is another and the last step of all still left to us – though one might ask, is it eternally the last or only the last practically conceivable or at all necessary for us now? – to take up our gnostic existence into the Bliss-Self and there complete the spiritual self discovery of the divine Infinite. Ananda, a supreme Bliss eternal, far other and higher in its character than the highest human joy or pleasure is the essential and original nature of the spirit.”
Deutsche Übersetzung aus dem Buch ‚Die Synthese des Yoga‘ (Seite 509) von Sri Aurobindo:
„Die Upanishad sagt, es stehe uns, nachdem wir das Wissens-Selbst oberhalb des Mentals sicher gewonnen und alle niedrigeren Selbste in dieses emporgezogen haben, noch ein anderer und allerletzter Schritt bevor (wobei man sich fragen könnte, ob das für immer die letzte oder nur die letzte praktisch erfassbare, für uns jetzt notwendige Stufe sei): wir sollten unsere gnostische Existenz in das ananda-Selbst, das Seligkeits-Selbst, emporheben und dort die völlige geistige Selbst-Entdeckung der göttlichen Unendlichkeit zur Vollendung bringen. Ananda, allerhöchste ewige Seligkeit, die ihrem Charakter nach etwas ganz anderes und Höheres ist als die intensivste menschliche Freude oder Lust, ist die wesenhafte und ursprüngliche Natur des Geistes.“
“This self of bliss is the conscious foundation of perfect Sachchidananda and to pass into it completes the soul’s ascension.”
Deutsche Übersetzung aus dem Buch ‚Die Synthese des Yoga‘ (Seite 487) von Sri Aurobindo:
„Das Selbst der Seligkeit ist die bewusste Grundlage des vollkommenen saccidananda. Wenn die Seele dorthin gelangt, ist ihr Aufstieg zur Vollendung gekommen.“
Nachtrag vom 23.01.2022:
Die Zuordnung der 7 oben erwähnten Puruṣas zu den Bewusstseins-Sphären (siehe nebenstehendes Bild – zum Vergrössern anklicken) werden im Integralen Yoga und Kriyā-Yoga unterschiedlich zugeordnet (siehe Tabelle unten).
Siehe auch folgende Blog-Beiträge:
• Unterschied Kriya-Yoga und Integraler Yoga
• Sphären des Bewusstseins
Puruṣas | Kriyā-Yoga | Integraler Yoga (gemäss Sri Aurobindo) |
---|---|---|
sat puruṣa | 7. cakra, sahasrāra | sat (unendliches Sein) -> höhere Hemisphäre (parārdha) |
caitanya puruṣa | 6. cakra, ājñā | cit (absolutes Bewusstsein) -> höhere Hemisphäre (parārdha) |
ānandamaya puruṣa | 5. cakra, viśuddha | ānanda (Seligkeit) -> höhere Hemisphäre (parārdha) |
vijñānamaya puruṣa | 4. cakra, anāhata | Supramental (Gnosis) -> Mittlerkraft zwischen beiden Hemisphären |
manomaya puruṣa | 3. cakra, maṇipūra | inneres, wahres Mental, 6. cakra -> niedere Hemisphäre (aparārdha) |
prāṇamaya puruṣa | 2. cakra, svādhiṣṭhāna | inneres, wahres Vital, 3. cakra -> niedere Hemisphäre (aparārdha) |
annamaya puruṣa | 1. cakra, mūlādhāra | innere, wahre Physis, 1. cakra -> niedere Hemisphäre (aparārdha) |